Als erster italienischer Einwanderer Recklinghausens ist Emilianus Gracchus Giacometti schriftlich überliefert. Dieser war nicht etwa ein Speiseeisproduzent; dafür fehlte im 18. Jahrhundert in Recklinghausen noch jeder Bedarf. Jedoch bestand damals westfalenweit ein Mangel an handwerklich gut gearbeiteten Zinnwaren. Leuchter, Becher, Teller, Lampen, lauter im bürgerlichen Haushalt seinerzeit unverzichtbare Alltagsgegenstände waren der längeren Haltbarkeit wegen aus Zinn hergestellt. Und darauf verstanden sich diese frühen „Gastarbeiter“ aus dem Süden offenkundig besser, als die meisten einheimischen Zinngießer.
Zu denen, die sich gegen die natürlich eifersüchtigen etablierten Zunftmeister über Generationen behaupten konnten, zählt an vorderster Stelle die Familie Giacometti. Aus Sardinien wanderte 1710 Emilianus Gracchus Giacometti ein. Gegen die durchsichtigen Vorwürfe deutscher Konkurrenten, die Zuwanderer lieferten minderwertiges Zinngerät, konnten sich Fleiß, Ausdauer und Qualität der Italiener allemal durchsetzen.
Familien und landsmannschaftlicher Zusammenhalt waren dabei vor allem in der Einbürgerungsphase von größter Wichtigkeit: Bald folgten den Pionieren Landsleute, die hier ebenfalls ihr Glück suchten. Die Heimatforschung kennt immerhin drei verschiedene Zinngießer, sowie einen Kaminkehrer aus derselben Gegend gleich zu Beginn dieser ersten Arbeitsmigration. Ein Baldwin Reinoldi wird bereits 1782 als Gildenmeister geführt.
Wegen der Wichtigkeit des Produktionszweiges und aufgrund der Tüchtigkeit der zugewanderten Spezialisten hatte Franz Margante aus Mailand mehr als drei Jahrzehnte das landesherrliche Monopol auf Zinnwaren in Recklinghausen inne. Auch sein Nachfolger und Landsmann Stephan Christian Bonino war äußerst erfolgreich in seinem Fach, sodass sein Sohn Julius um 1810 seine Verkaufswerkstatt in Toplage am Altstadtmarkt errichten konnte. 1840 hatte die Firma fünf Gesellen und zwei Lehrlinge! Sie alle waren italienischer Abstammung. Fünfzehn Jahre später ist die Sparte auf fünf florierende Betriebe angewachsen.
Josef Giacometti, geboren 1825 in Recklinghausen, brachte im Verband mit den genannten Zinngießern seine Werkstatt in die führende Position. Am Lampengässchen, das schließlich wegen der Lampenproduktion seinen Namen hat, betrieb er mit seinem Sohn Fritz (1864 – 1894) ein einträgliches Gewerbe.
Die Gattin, beziehungsweise Mutter Gertrud, geb. Kalberg, die über 90 Jahre alt wurde, war die treibende Kraft bei der Modernisierung des Betriebes. 1875 führte sie die fabrikmäßige Erzeugung mittels Dampfkraft ein. Durch Spezialisierung auf ihre patentierten unzerbrechlichen Tintenfässer aus Zinn, konnten Mutter und Sohn Giacometti trotz massiver Einbrüche auf dem Geschirr-Sektor (das pflegeleichtere Emaille war zunehmend angesagt) sich noch zwei Jahrzehnte am Markt halten. Nach dem frühen Tod ihres Sohnes, gab die Firmeninhaberin 1895 jedoch auf.
Wirklich angekommen in der neuen Heimat, vorbehaltlos etabliert haben sich und sind die Zuwanderer aus Italien offenkundig erst, nachdem sie beruflich so erfolgreich waren, dass sie auch auf dem heimischen Heiratsmarkt als „gute Partie“ galten. Nicht von ungefähr trägt ein Stein auf der Familiengruft der Giacomettis die stolze Berufsbezeichnung „Oberzollrevisor“ für den Schwiegersohn Adolf Heidemann.
Erhalten geblieben ist auch noch der Grabstein des oben erwähnten Josef Giacometti und seines Sohnes Fritz. Wer den Friedhof Am Lohtor betritt, findet die Grabsteine nach ein paar Schritten links vom Hauptweg.
Alfred Stemmler
Verein für Orts- und Heimatkunde
Literatur:
Adolf Dorider, Geschichte der Stadt Recklinghausen (1577 – 1933), Recklinghausen 1955
Gisbert Strotdrees, Fremde in Westfalen — Westfalen in der Fremde. Zur Geschichte der Ein- und Auswanderung von 1200 — 1950, Münster, 1996
Silvia Seimetz, Die ersten Einwanderer aus Italien, Recklinghäuser Zeitung vom 02.12.2015
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