Zeitzeugengespräche mit Schülerinnen und Schülern sind die Highlights unseres Projekts. Das frühere „Gastarbeiterkind“, Dr. Thomas Panagiotidis, hat mit mir drei 10. Klassen der Dietrich-Bonhoeffer-Realschule in Recklinghausen besucht.
Heute ist er 66 Jahre alt und blickt auf ein bewegtes Leben zurück. Thomas Panagiotidis kam im Alter von neun Jahren nach Deutschland. Sein Vater hatte zuvor schon „getestet“, ob die Arbeit bei BMW in München — oder in Deutschland überhaupt — etwas sein könnte. Nach Ablauf des Jahresvertrags kehrte er wieder in die Heimat zurück. Ein Verwandter erzählte ihm von der Fleischwarenfabrik Herta in Herten, wo der Firmenbesitzer eine griechische Lehrerin für die Gastarbeiterkinder eingestellt hatte. Bildung war den Eltern sehr wichtig. Dieses Angebot und die wirtschaftlichen Bedingungen gaben den Ausschlag, den nächsten Jahresvertrag anzunehmen und mit der ganzen Familie nach Deutschland zu ziehen – so für insgesamt fünf Jahre, hatte man gedacht – und dann doch für immer zu bleiben.
In lebhaften Worten erzählte unser Zeitzeuge
- von seinen ersten Eindrücken von Deutschland.
- wie er in Helmut Z. seinen besten Freund fand, weil sich dieser in der Schule neben ihn gesetzt hatte, als kein anderer es wollte.
- von kulturellen und kulinarischen Unterschieden.
- dass seine Eltern anfangs Vorbehalte gegen deutsche Frauen hatten und wie er dann mit seiner Frau Claudia sehr glücklich wurde.
- wie ihn Lehrer immer wieder unterstützt und gefördert haben und er so schließlich studierte, promovierte und Karriere machte.
- von einem Verkehrsunfall nach dem man ihm fahrlässige Körperverletzung vorwarf, mit der Folge, dass sein Aufenthaltsrecht von einem Jahr auf drei Monate herabgesetzt wurde. Das bedeutete, alle drei Monate eine Verlängerung zu beantragen und keine (Planungs-) Sicherheit fürs Leben zu haben.
- vom Bau einer griechisch-orthodoxen Kirche in Herten, den er betreute (unbedingt einmal anschauen, es ist ein wunderschönes Gebäude!)
Ach, er erzählte noch so viel mehr und manchmal stiegen ihm bei den Erinnerungen die Tränen in die Augen, z.B. als er Helmut erwähnte, der noch heute sein bester Freund ist.
Diese Schilderungen haben die Jugendlichen berührt, sie hörten aufmerksam zu und stellten viele Fragen. Sehr interessant war es, wenn wir die Jugendlichen nach der Herkunft ihrer eigenen Familien fragten. Wir baten sie aufzustehen, wenn ihre Vorfahren oder sie selbst nicht in Deutschland geboren sind. In der Klasse 10.1 mit 24 Schülerinnen und Schülern fiel das Ergebnis so aus: Großeltern: 16, Eltern: 10, Schüler: 1. Aus neun Ländern stammen die Familien – eine große kulturelle Vielfalt, die da in einer einzigen Klasse zusammenkommt.
„Ich liebe meine Herkunft, aber auch meine neue Heimat hier!“, sagte Dr. Thomas Panagiotidis während eines Besuchs und wir hoffen, die Jugendlichen können das von sich ebenfalls behaupten.